Vor einiger Zeit habe ich das Thema „Medienkonsum“ auf die Agenda gesetzt und konnte so Gastschreiber für meinen Blog gewinnen. Den Anfang machte Samuel mit tiefgründigen Gedanken. Anschließend bezog ich mich ein wenig auf seinem Artikel und griff ebenfalls zur Feder. Nun freue ich mich, dass Kai für einen Gastbeitrag auf meinem Blog zugesagt hat. Herzlich willkommen auf meinem Filmblog, Kai. Ich freue mich sehr, dich hier ankündigen zu dürfen. Thematisch geht er in eine etwas andere Richtung, was durchaus eine spannende Diskussion zur Folge haben könnte. Aber nun genug meiner Worte. Ring frei für Kai Remen. 😉
Wir leben im goldenen Zeitalter des Contents. Der Instagram-Feed ist endlos, es gibt mehr Podcast, als man im Leben hören kann und das Überangebot an Filmen und Serien droht manch einen zu erschlagen. Sätze wie „Da weiß man ja gar nicht, was man schauen soll“ oder „Es gibt zu viele gute Podcasts“ fallen immer häufiger. Doch ist das etwas Gutes?
Grundsätzlich dürfte sich wohl kaum jemand über ein größer werdendes Angebot beschweren. Dass darunter die Qualität nicht leiden sollte, ist selbstverständlich – ob das allerdings (gerade bei Netflix) der Fall ist, muss an anderer Stelle geklärt werden. Fast problematischer finde ich, dass durch dieses Überangebot eine Einstellung bei uns Zuschauer:innen gegenüber Filmen und Serien aufgekommen ist – eine Einstellung, die fast als Indikator für eine Zäsur des Medienkonsums verstanden werden kann…
Eigentlich sind Filme (und Serien) ja etwas Tolles – nicht umsonst schreibe ich mit Freude darüber – doch in Gesprächen mit Freunden und Familie bemerke ich immer wieder Aussagen, die mir sauer aufstoßen. „Den Film muss ich ja auch noch gucken.“ oder „Durch die ersten zwei Staffeln muss man sich quälen, aber dann wird’s gut…“ sind da nur zwei Beispiele. Man mag es pingelig nennen, aber die Phrase „einen Film schauen müssen“ zeigt meiner Meinung nach ein Problem auf. Wir konsumieren Filme und vergessen dabei, was sie eigentlich sind.
Es mag pathetisch klingen, aber Filme (Serien nachfolgend inbegriffen) sind Kunstwerke. Vom IndieStreifen bis zum Blockbuster, vom Art-House Klassiker bis zum Action-Gemetzel. Hunderte gar tausende Menschen haben über Jahre unzählige Stunden in dieses Werk gesteckt. Jede Kameraeinstellung, jeder Schnitt hat eine Intention. (Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier die Regel.) Wer sich schon einmal an einem Drehbuch versucht, Storyboards gezeichnet oder schlicht das Behind-The-Scenes Material des Lieblingsfilms angeschaut hat, wird erkennen, wie viele Gedanken hinter jedem einzelnen Frame stecken.
Filme werden zum Konsumgut degradiert
Umso entlarvender, dass Netflix seit diesem Jahr einen Test durchführt und einigen Nutzer:innen die Möglichkeit gibt, die Wiedergabegeschwindigkeit zu verändern. Was bei reinen Informationspodcasts noch die Möglichkeit bereithält, schneller an die gewünschten Informationen zu kommen, muss bei Filmen weitaus kritischer betrachtet werden. Netflix degradiert mit dieser Maßnahme die angebotenen Filme zum reinen Konsumgut. Eigentlich kein Wunder also, dass die Funktion bei Filmschaffenden auf wenig Anklang stieß. Regisseur Judd Apatow sprach in dem Zusammenhang gar vom „schlimmsten Alptraum jeder kreativen Person“ und ich kann ihn und seinen Frust verstehen.
Wer gelegentlich Filmkritiken liest, wird nicht ohne Grund immer wieder das Wort „Tempo“ bzw. „Pacing“ finden. Das Tempo eines Films definiert sich nicht nur durch die Gesamtlänge, sondern auch durch die Abfolge von „langsamen“ und „schnellen“ Szenen. Wenn ein Dialog scheinbar endlos ist, dann hat das einen Grund. Wenn zwischen verschiedenen Orten und Figuren umhergesprungen wird, dann hat das einen Grund. Es mag einem nicht bewusst auffallen, aber genau jenes Pacing entscheidet zu einem großen Teil darüber, ob wir einen Film mögen oder nicht.
Bong Joon-ho versteckt in „Parasite“ mitten in einem Kameraschwenk einen Schnitt, um die Szene noch flüssiger in den Rhythmus der Montage einzuarbeiten. Damien Chazelle lässt in „Whiplash“ das finale Drum Solo immer wieder schneller und langsamer werden, um so die Intensität der Szene ins Unermessliche zu steigern. Guy Ritchie schneidet in „King Arthur: Legend Of The Sword“ zwischen der Planung und Ausführung eines Coups hin und her, um die Hektik und Brisanz des Unterfangens zu zeigen. Alfred Hitchcock lässt seinen Protagonisten in „Der unsichtbare Dritte“ ganz bewusst minutenlang auf einem Feld ins Nichts blicken, nur damit der Angriff aus der Luft umso überraschender kommt. Diese Liste könnte ins Unendliche weitergeführt werden und spätestens bei Filmen wie „Memento“ oder „Tenet“, die die Zeit gleich als zentrales Thema des Streifens haben, wird klar, wie anmaßend es ist, dieses Tempo zu ändern, nur weil man gerade vielleicht keine zwei Stunden Zeit hat, oder eh den Film nur sehen will, um ihn gesehen zu haben.
Was erdreisten wir uns?
Weder Netflix noch der Zuschauer oder die Zuschauerin sollten sich herausnehmen, es besser zu wissen. Ihr…nein wir…wir sind die Zuschauer:innen. Wir haben den Film zu schauen und können hinterher sagen, ob er uns so, wie er geplant und umgesetzt wurde, gefallen hat oder nicht.
Wir sollten Filme als Kunstwerke ansehen. Keiner geht in die Sixtinische Kapelle und beschwert sich, dass Michelangelo das Fresko nicht auf eine Leinwand gepinselt hat, sodass man nicht mehr den Kopf in den Nacken legen müsste. Keiner geht ins klassische Konzert, steckt sich aber zudem Kopfhörer mit einem Beat in die Ohren, weil ihm das Stück so besser gefällt. Warum sollten wir Einfluss auf das Werk Film nehmen?
Wenn man eine Geschichte durchleben und selbst beeinflussen will, kann man das ja gerne tun. Möglichkeiten dafür gibt es genug. Seien es Videospiele wie „The Last Of Us“, interaktive Filme wie „Black Mirror: Bandersnatch“ oder Bücher, in denen man zwischen mehreren Handlungssträngen aussuchen kann.
Die selbstauferlegte Verpflichtung
Man muss Netflix allerdings zugestehen, dass der Streamingriese eigentlich nur auf eine Entwicklung im Medienkonsum reagiert. Es wird immer mehr „konsumiert“. Das mag mit dem wachsenden Angebot zusammenhängen, aber auch mit einer Art selbstauferlegter Verpflichtung, etwas gesehen zu haben. „Das muss ich auch noch schauen“ hat „Das will ich auch noch schauen“ abgelöst. Ein Satz, der suggeriert, dass man fast gezwungenermaßen einen Film schauen müsse. Dass uns niemand außer uns selbst dazu zwingt, darf dabei aber nicht vergessen werden. Die Angst, nicht mitreden zu können, wenn über die neuesten Verwirrungen bei „Stranger Things“ geredet wird, die Unwissenheit, wenn im Freundeskreis über etwas namens „rote Hochzeit“ gesprochen wird oder schlicht die Befürchtung, gespoilert zu werden. Sie zwingen uns scheinbar dazu, noch schnell die neueste Folge zu sehen oder im schlimmsten Fall den Kinofilm gleich auf togolesischen Seiten online zu schauen.
Doch was bringt uns das? Wir haben einen Film konsumiert, aber nicht wirklich erlebt. Wir haben ihn schnell geguckt, während nebenbei im WhatsApp-Chat die nächste Geburtstagsfeier geplant wurde. Wir haben den Film als Konsumgut und nicht als Kunstwerk verstanden.
Ein Plädoyer
So bringen wir uns am Ende selbst um die großen Stärken des Films: Unterhaltung und Eskapismus. Wir haben gar nicht mitgeraten, was denn nun in der Box ist. Wir haben keine Trauer empfunden, als der Baum der Na’vi in Flammen aufgeht. Wir haben nicht gelacht, als Brian der Unterschied zwischen der judäischen Volksfront und der Volksfront von Judäa erklärt wird. Wir haben keine Angst gespürt, als Bruno seinem Freund Schmuel hinter den Zaun des KZs folgt.
Es bleibt mir also schlussendlich doch nichts anderes übrig, als ein pathetisches Plädoyer zu halten. Hört auf Filme zu konsumieren! Wir können eh nicht alle Filme und Serien schauen. Aber wenn wir eh nicht alles schauen können, dann sollten wird das Auserwählte doch umso bewusster erleben. Wer das macht, wird nicht nur unzählige fesselnde, erschreckende, emotionale und fantastische Stunden erleben, er oder sie wird auch verstehen, warum mir dieses Plädoyer so wichtig ist.
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2 Gedanken zu “Medienkonsum: Hört auf, Filme zu konsumieren!”